Berlin taz | Auf die Verurteilung der Nürnberger Antifaschistin und Kunststudentin Hanna S. zu einer fünfjährigen Haftstrafe vor dem Oberlandesgericht München reagiert die linke Szene mit Empörung. Die Antifa München sprach von einem „klaren Einschüchterungsversuch gegen alle Antifaschist*innen“. Lediglich wenige Indizien hätten gereicht, „um antifaschistisches Engagement zu kriminalisieren und Menschen auf Jahre der Freiheit zu berauben“.

Auch die Rote Hilfe, die linke Beschuldigte unterstützt, sprach von einem „politisch motivierten Verfahren“ und einem „Gesinnungsurteil“. Einen handfesten Beweis gegen Hanna S. habe es nicht gegeben. Es gehe darum, „ein Exempel zu statuieren“. Das Urteil gegen Hanna S. sei ein „neuer Höhepunkt der staatlichen Großoffensive auf Antifaschist*innen“. Parallel zur Urteilsverkündung hatten Linke vor dem Gericht protestiert. Am Samstag soll eine Antifa-Demonstration in Nürnberg folgen.

Auch der Linken-Europaabgeordnete Martin Schirdewan, der zum Urteil angereist war, sprach von einem „rechtspolitischen Exempel an Hanna S., das abschrecken soll“. Das Urteil sei „Ausdruck der voranschreitenden Kriminalisierung von Antifaschistinnen“. Schirdewan kritisierte auch den Vorwurf der kriminellen Vereinigung: Dieser gelte eigentlich organisierter Kriminalität wie der Mafia. „Der deutsche Rechtsstaat muss Maß halten in der Anwendung dieses Straftatbestandes gegenüber politischen Gruppierungen.“

Das Oberlandesgericht hatte Hanna S. am Freitag wegen gefährlicher Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt, weil sie mit anderen deutschen Linken an zwei Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest im Februar 2023 beteiligt gewesen sei. Neonazis aus Europa versammeln sich dort alljährlich zu einem „Tag der Ehre“, auf dem die SS und Wehrmacht verherrlicht werden. Bei den Angriffen wurden auch Schlagstöcke eingesetzt und die Rechtsextremen teils schwer verletzt.

Die Bundesanwaltschaft hatte Hanna S. deshalb sogar versuchten Mord vorgeworfen und neun Jahre Haft gefordert. Den Vorwurf des versuchten Mordes sah das Oberlandesgericht nicht. Die Verteidiger von Hanna S. hatten dagegen einen Freispruch gefordert – da nicht nachgewiesen sei, dass Hanna S. wirklich an den Angriffen beteiligt war.

Wegweisendes Urteil für zwei weitere Prozesse

Das Urteil ist wegweisend auch für zwei weitere Prozesse gegen Antifaschist*innen, die demnächst starten. So plant das Oberlandesgericht Dresden nach taz-Informationen, am 4. November einen Prozess gegen sieben Linke zu beginnen, in einem Hochsicherheitssaal am Stadtrand. Ihnen wird ebenfalls vorgeworfen, an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen zu sein oder diese unterstützt zu haben. Geplant sind Verhandlungstermine bis ins Jahr 2027.

Eine Gerichtssprecherin sagte der taz, ein finaler Eröffnungsbeschluss für den Prozess liege noch nicht vor. Sie gehe aber davon aus, dass „das Verfahren wohl in der ersten Novemberwoche beginnt“.

Hauptbeschuldigter in Dresden ist der Leipziger Johann G. Seine frühere Lebensgefährtin Lina E. wurde bereits 2023 vor dem Oberlandesgericht Dresden zu gut fünf Jahren Haft verurteilt, die sie momentan absitzt. Auch drei weitere Beschuldigte wurden damals verurteilt. Der Gruppe wurden mehrere schwere Angriffe auf Rechtsextreme in Sachsen und Thüringen zwischen 2018 und 2020 vorgeworfen, auch hier mit Schlagstöcken und teils schweren Verletzungen der Angegriffenen.

Die nun Angeklagten sollen ebenfalls zur Gruppe um Lina E. gehört haben. Johann G. war damals noch flüchtig, er wurde erst nach 4 Jahren Abtauchen im November 2024 von Zielfahndern in einer Regionalbahn in Thüringen festgenommen. Dem 31-Jährigen wird vorgeworfen, die Gruppe mit angeführt und die Angriffe geplant zu haben. Auch nach 2020 soll er noch bei Attacken in Dortmund und Erfurt involviert gewesen sein. Zudem soll sich Johann G., ebenso wie zwei weitere Angeklagte in Dresden, auch bei den Angriffen in Budapest beteiligt haben. Den Dreien wird deshalb auch versuchter Mord vorgeworfen.

Die Ver­tei­di­ge­r*in­nen hatten die Übernahme des Falls durch die Bundesanwaltschaft zuletzt als überzogen kritisiert. Es sei „höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann“, teilten sie mit. Nach taz-Informationen forderten inzwischen mehrere Verteidiger*innen, die Verfahren ihrer Mandanten abzutrennen und deren Prozesse vor einem Landgericht zu eröffnen. Entschieden wurde darüber noch nicht.

Vorwurf versuchter Mord

Ebenfalls noch dieses Jahr soll ein Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf starten, gegen sechs weitere Antifaschist*innen, denen die Angriffe in Budapest vorgeworfen werden. Sie waren zunächst abgetaucht, hatten sich dann aber zu Jahresbeginn der Polizei gestellt und sitzen seitdem in Haft. Auch hier lautet der Vorwurf der Bundesanwaltschaft auf versuchten Mord, auch hier kritisieren Ver­tei­di­ge­r*in­nen das als überzogen.

Ein siebter Beschuldigter, der Nürnberger Zaid A., hatte sich ebenfalls im Januar gestellt. Er ist nicht in Düsseldorf angeklagt, weil sich die Bundesanwaltschaft für ihn als Syrer nicht zuständig sieht. Dem 21-Jährigen droht deshalb weiterhin die Auslieferung nach Ungarn.

Zudem läuft in Budapest weiter der Prozess gegen Maja T. Der nonbinären Thü­rin­ge­r*in wird ebenfalls vorgeworfen, an den Angriffen in Budapest beteiligt gewesen zu sein. T. war im Juni 2024 nach Ungarn ausgeliefert worden – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte.

Maja T. nackt gefesselt

Am Freitag wurde auch gegen Maja T. in Budapest verhandelt. Laut Prozessteilnehmenden wurden Überwachungsvideos aus Budapest begutachtet und eine angegriffene Rechtsextremistin als Zeugen angehört. In der Beweisnahme ist bis heute nicht geklärt, ob Maja T. tatsächlich an den Angriffen beteiligt war. Das Gericht hatte ursprünglich für Anfang Oktober ein Urteil gegen Maja T. geplant. Im Prozess sollen nun aber noch weitere Zeugen gehört werden, weshalb sich das Prozessende verzögert. T. drohen bis zu 24 Jahre Haft.

Maja T. selbst war zuletzt in einen Hungerstreik getreten, mit der Forderung nach einem Ende der Isolationshaft in Ungarn und einer Rückholung nach Deutschland – beides bisher erfolglos. Wolfram Jarosch, Vater von Maja T., beklagte am Freitag, dass sein Kind zuletzt in der Haft von Gefängnispersonal gefesselt und nackt ausgezogen wurde – nachdem T. eine Intimkontrolle verweigert hatte. Die Prozedur habe drei Stunden angedauert und es sei ein Disziplinarverfahren gegen Maja T. eingeleitet worden. „Das Vorgehen der ungarischen Behörden, Maja gewaltsam zu fesseln und zu entkleiden, widerspricht jeglicher Menschenwürde und internationalen Standards“, kritisierte Jarosch.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte zuletzt erklärt, das Auswärtige Amt setze sich für bessere Haftbedingungen und eine Rückholung von Maja T. nach Deutschland ein. Bei einem Haftbesuch der taz sagte Maja T. dazu: „Davon merke ich bisher leider nichts.“

Der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg sagte der taz, angesichts der Verurteilung von Hanna S. zu fünf Jahren Haft zeigten die bis zu 24 Jahre, die Maja T. in Ungarn drohten, wie „völlig überzogen“ die Strafandrohung dort sei. „Unabhängig davon hätte Maja T. nie durch deutsche Behörden an Ungarn ausgeliefert werden dürfen“, kritisierte Limburg. „Deutschland muss alles dafür tun, dass Maja T. schnellstmöglich rücküberstellt wird.“

Grußwort eines Untergetauchten aus Nürnberg

Gefunden auf Indymedia

Ich melde mich aus dem Untergrund aufgrund des heutigen Prozessendes und Urteils gegen Hanna im ersten deutschen Gerichtsverfahren im sogenannten Budapest-Komplex.

Das heutige Urteil von 5 Jahren Haft ist für uns alle wahrscheinlich ein Wachruf. Liebe Hanna, liebe Genoss:innen und Genossen, Liebe Freund:innen und Freunde, Liebe Familie – Ich bin in Gedanken heute fest bei euch. Ich wünsche euch jede erdenkliche Kraft, einen Umgang mit diesem harten Schlag, den wir aber besonders Hanna, heute vom deutschen Staat erfahren mussten, zu finden.

Überrascht hat mich das heutige Urteil aber nicht. Es reiht sich ein in die sich kontinuierlich verschärfende Repression, mit der wir als antifaschistische und revolutionäre Bewegung seit 2017 konfrontiert sind. Sie soll dazu führen, dass wir uns noch mehr um uns selbst drehen und eine Einschüchterung hervorrufen. Sie soll uns davon abhalten, abseits des heuchlerischen bürgerlichen Gesetzesrahmen zu agieren. In den vergangenen Jahren war der Staat mit diesem Vorgehen auch erfolgreich. Das kann für uns aber nicht heißen, in eine Schockstarre zu verfallen. Weitere Jahre in Haft stehen unserer engen Genossin und Freundin, sowie einigen weiteren Antifaschist:innen noch bevor. Unsere Trauer hierüber gilt es in Wut zu wandeln und auf die Straße zu tragen! Anderes bleibt uns auch kaum übrig:

Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen begrenzen sich nicht nur auf die Repression gegen eine radikale Linke. Weltweit sind faschistische Bewegungen auf dem Vormarsch, gewinnen mehr und mehr an Einfluss und werden in immer mehr imperialistischen Staaten zur Regierungsoption. Die letzten Tage waren geprägt von der Berichterstattung über die Einstufung einer antifaschistischen Bewegung in drei Ländern als „terroristisch“ und auch in Deutschland beweisen die Schweine des Staates einen unvergleichlichen Verfolgungseifer und eine ausgeprägte Feindjustiz.

Diese Welt bewegt sich auf den Abgrund zu. Die führenden imperialistischen Staaten steuern geradewegs auf einen dritten globalen Krieg zu. Überall auf der Welt werden bereits heute Kriege geführt, im Sozialbereich gespart, um für kommende Kriege zu rüsten und die Gesellschaft auch immer weiter militarisiert. Agression nach Außen und Repression nach Innen prägen unsere Zeit. Dabei wird der Faschismus zur Durchsetzung kapitalistischer Herrschaft immer mehr zur Option. Mehr denn je gilt es in die Geschichte zu schauen und aus ihr zu lernen. Es ist unsere Aufgabe als Antifaschist:innen und Antifaschisten den Kampf weiter zu führen und uns nicht brechen zu lassen. Unsere Vorkämpfer:innen und Vorkämpfer haben einen unglaublich schmerzhaften Kampf dafür geführt, die Welt vom deutschen Faschismus zu befreien und eine bessere Zukunft aufzubauen. Heute gilt es mehr denn je ihren Kampf weiterzuführen und jetzt umso konsequenter auf allen Ebenen der reaktionären Offensive entgegenzutreten.

Damit werden wir nur erfolgreich sein können, wenn wir eine starke Organisation mit klarer Perspektive aufbauen, die dazu in der Lage ist, auf verschiedensten Ebenen den Kampf für eine bessere Welt zu führen.

Liebe Genoss:innen, wie gerne wäre ich heute bei euch und würde meine unglaubliche Wut mit euch auf die Straße tragen. Doch auch wenn wir in unterschiedlichen Lebenssituationen sind, führen wir einen gemeinsamen Kampf. Ob in Haft, auf der Straße oder im Untergrund.

Liebe Hanna, wahrscheinlich ist die Machtlosigkeit die du heute fühlst und in der du dich befindest unbeschreibbar und wie gerne würde ich für dich da sein. Ich denke so geht es so vielen Menschen hier und auch wenn du heute wahrscheinlich alleine in deiner Zelle sitzt, sind unsere flammenden Herzen undurchtrennbar miteinander verbunden und du wirst auch diese Zeit durchstehen. Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels und eines Tages werden auch wir uns wieder in den Armen liegen.

Heute ist kein Tag des Verzagens, heute ist kein Tag der Trauer. Die Solidarität muss praktisch werden und das bedeutet auch die vorgeworfene Praxis weiterzuführen. Organisieren wir uns und arbeiten vereint an dem Aufbau eines neuen Sozialismus – damit sich Geschichte nicht wiederholt.

Denn heute heißt es leider wieder wie bereits vor 100 Jahren: Sozialismus oder Barbarei!

Und um bei Rosa Luxemburg zu bleiben:

So ist das Leben und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem!

Flammende Grüße aus dem Untergrund

Und jetzt lasst uns gemeinsam anstimmen:

Eure Repressionen kriegen uns nicht klein – Wir sind auf der Straße im Widerstand vereeint!

Bericht zur Demo in Nürnberg

von msn

Weil sie in Budapest am Angriff auf mutmaßliche Neonazis dabei gewesen sein soll, muss Hanna S. fünf Jahre hinter Gitter. In Nürnberg löst das Urteil einen Protest aus.

Nach dem Urteil gegen die mutmaßliche Linksextremistin Hanna S. haben sich am Samstag in Nürnberg zahlreiche Menschen zu einer Demonstration versammelt. Wie ein Polizeisprecher auf Nachfrage von t-online sagte, zogen am Samstag rund 1.200 Teilnehmern vom Veit-Stoß-Platz in Richtung Innenstadt.

Der Aufzug verlief nach Angaben des Sprechers weitgehend friedlich. Zu einem Zwischenfall kam es jedoch .Ein Mann soll mit einer Fahnenstange auf eine Polizeireiterin losgegangen sein, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Das Pferd habe dadurch gescheut und eine Demonstrantin gestoßen. Diese habe aber angegeben, nicht verletzt zu sein.

Die Polizei begleite den Aufzug mit zahlreichen Beamten. Wie viele Kräfte genau im Einsatz sind, wollte der Sprecher aus polizeitaktischen Gründen nicht sagen.